top of page
  • gilleschatelain

Drei Fragen an Prof. Dr. Dominik Enste


Die Erkenntnis, dass sich Menschen nicht immer rational verhalten, ist weit verbreitet. 1955 stellte Herbert Simon sein «Behavioral Model of Rational Choice» vor, in dem er das Bild des «Economic Man» infrage stellt. Knapp 20 Jahre später verhalfen Tversky und Kahneman mit „Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases“ der Thematik zu mehr Bekanntheit, Wohl nicht zuletzt dank anschaulichen Beispielen, mit welchen jede*r seine/ihre Irrationalität im Stillen überprüfen und erleben konnte. Der grosse Schritt in die Praxis und die strategische Anwendung von Behavioral Insights (BI) erreichten Thaler und Sunstein 2008 mit dem Buch «Nudge». Sie zeigten, wie der libertäre Paternalismus wohlwollend und problemlösend eingesetzt werden kann, oder besser gesagt, «könnte». Denn, auch 75 Jahre nach «Bounded Rationality» und 12 Jahre nach «Nudge», sind BI in der DACH-Region kein allgemein bekanntes und weit verbreitetes Tool.


Aber was sind die möglichen Gründe, dass das Potenzial der BI in der DACH-Region bisher nicht ausgeschöpft wurde? Wir haben führende Verhaltensökonom*Innen gefragt. Heute: Prof. Dr. Dominik Enste.








Dominik Enste ist Leiter des Kompetenzfelds "Verhaltensökonomik und Wirtschaftsethik" am Institut der Deutschen Wirtschaft. Er ist Professor an der TH Köln für Wirtschaftsethik und Institutionenökonomik und Dozent an der Universität zu Köln.




Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass Behavioral Insights in der DACH-Region im Vergleich zu anderen Ländern (wie etwa GB) eher unbekannt sind?


Ein Grund dafür ist sicherlich historisch bedingt: Menschen in Deutschland und Österreich haben größere Bedenken gegenüber «Manipulation» durch den Staat. Damit verbunden ist, dass die Politik heute aufklären statt steuern möchte. Insbesondere in Deutschland war die Wirtschaftspolitik immer eher ordnungspolitisch ausgerichtet, wozu Nudging nicht so gut passt. Ein weiterer Grund ist wohl, dass die deutsche Wirtschaftswissenschaft mehr nach Modellen strebt und die Wirtschaftspolitik - die an den Unis mal stark war - vernachlässigt. Dies "rächt" sich nun und führt zu einer zeitlichen Verzögerung, die Verhaltensökonomik angewandt zu gestalten. Schließlich spielt wohl auch eine Rolle, dass neue Regelungen sehr schnell zu einer juristischen Debatte werden, sodass es für Nudging doppelt schwer ist, hier Fuß zu fassen.

Was müsste Ihrer Ansicht nach getan werden, um Behavioral Insights in der DACH-Region als weitläufig bekanntes und akzeptiertes Tool in der Praxis zu verankern?


Über Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit versucht das IW seit rund 10 Jahren, Behavioral Insights bekannt zu machen, auch in der Politikberatung. Aber die Sorge vor "Manipulation" ist gross. Die Debatten um Organspende, Impfungen etc. verdeutlichen dies sehr gut.

Wo sehen Sie Behavioral Insights in der DACH-Region in 5 Jahren?


Vermutlich immer noch als eine Nische, aber wenn es Initiativen wie BIPS gelingt, mit etablierten Organisationen zusammen zu arbeiten, könnten Behavioral Insights mehr Akzeptanz finden. Zudem müssten Behavioral Insights als Querschnittsmethode verankert und vermittelt werden. Die IW Akademie ist seit 2012 am Markt und freut sich auf den Austausch mit BIPS. Das IW Köln hat seit 2010 ein Kompetenzfeld mit dem Titel «Verhaltensökonomik und -ethik» und verschiedene Publikationen dazu veröffentlicht, u.a. Zur Psychologie der Freiheit – Verhaltensökonomik und Ordnungspolitik (2011), Die 7 Todsünden – Verhaltensökonomische Interpretationen und Handlungsanweisungen (2021), aber auch zahlreiche Reports und Kurzberichte.




bottom of page